Unsere Autorin hat als Mitarbeiterin des ARD-Studios in New York die US-Wahlen und Donald Trumps Wahlsieg hautnah miterlebt und die damit verbundene New Yorker Schockstarre auf dem Time Square erfahren.
Liebe Heimat,
ich sitze auf einem alten Polsterstuhl und denke an dich. Ich muss lächeln, als ich mich an meine ersten Tage in New York erinnere. Wie verwundert ich war, dass ich nach dreieinhalb Schritten schon die andere Seite meines Apartments erreicht habe. Dass der amerikanische Pumpernickel im Grunde doch nur mit Kaffee, Kakao oder Körnern eingefärbtes Weißbrot ist – die Menschen hier sind aber unglaublich freundlich. Sie sind so freundlich, dass sie sich dafür entschuldigen, wenn du sie versehentlich anrempelst.
Oder sie laden dich ein: Im Flugzeug lernte ich Elisabeth aus North Carolina kennen. »If you need something.« Für den Fall, dass du Hilfe brauchst, meinte sie und gab mir ihre Nummer. Sie hat mich eingeladen, Thanksgiving bei ihr und ihrer Familie zu verbringen. Wir kannten uns gerade mal vier Stunden.
Mensch, ich habe dir so viel zu erzählen, liebe Heimat, dass es mir schwerfällt, mich auf nur wenige Highlights zu beschränken. Jeder Tag ist ein Abenteuer. Es passiert immer was. Es ist halb zwei nachts, als ich eine Pause einlege. Ich klappe kurz meinen Laptop zu und gehe runter zu Abraham, der in seinem Store die leckersten Schoko-Donuts in der 34th Street verkauft. »Good luck, Maria«, wünscht er mir noch beim Schreiben meines Briefes an dich, liebe Heimat.
Auf dem Rückweg bemühe ich mich, keinen Kaffee zu verschütten und denke dabei an den 72-jährigen Paul Miller, den ich im Shuttle-Bus vom John F. Kennedy Flughafen nach Manhatten kennenlernte. Wir hatten es vom Brexit und anderen Ausrutschern. Ich nickte innerlich und dachte an die US-Präsidentschaftswahl. Ich habe sie hautnah miterlebt. An diesem Dienstagabend fühlte ich mich wie in der Anfangsszene des Filmes »Die Tribute von Panem«. Gut dreitausend Menschen standen auf dem Times Square, dem sonst lebendigsten und überdrehtesten Ort der Stadt. Normalerweise lachen die Leute dort. Sie eilen zu ihrem nächsten Termin oder verweilen mit ihren vollgepackten Shoppingtüten auf dem Platz.
Nicht an diesem Abend. Sie sahen nervös und teilweise verstört zu den riesigen Bildschirmen auf. Ihre Augen wurden immer größer, als die Stimmen des Voting-Barometers für Donald Trump zunahmen. »Wer wird gewinnen?«, haben sich die New Yorker gefragt, die Hillary Clinton fast einstimmig wählten. Aber auch nur, um ihrer Ansicht nach das größere Übel zu vermeiden. Clinton wurde von den Menschen in den östlichen und westlichen Bundesstaaten gewählt. Trump wurde von den jenen gewählt, die in der Mitte und
im Süden des Landes leben. Was bedeutet, dass demokratische Wähler vermehrt in denGroßstädten an den Küsten leben und Hillary Clinton die traditionell konservativen Wähler im Landesinnern wenig überzeugen konnte.
Dann sind die Würfel gefallen: Donald Trump ist das neue Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich gebe es zu, liebe Heimat: Ich war schockiert. Meist wurde er von den älteren Menschen gewählt, während viele junge Menschen frustriert an der Seite stehen. »That’s the worst thing that happened in my whole fucking life.« Das ist das Schlimmste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist, hörte ich einen jungen Mann hinter mir verärgert rufen.
Nachvollziehbar, bei Trumps Wahlversprechen: Er will eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten. Bestehende Handelsabkommen will er überprüfen. Und wenn nach Trumps Meinung jeder Amerikaner eh auch Waffen tragen darf, finden sich sicher neue Gelegenheiten, die die Investitionen in die nationale Sicherheit begründen. Ach, und die Steuern will er auch noch senken. Wofür, frage ich mich? Kann er sie doch gleich abschaffen. Er zahlt ja selber keine.
Ich weiß, liebe Heimat, die Zukunft mit ihm sieht wenig rosig aus. Dennoch machen mir Menschen wie Bill de Blasio, Bürgermeister von New York City, Mut. »We are one nation, one society«, sagte der 55-Jährige drei Tage nach den Wahlergebnissen auf einer Pressekonferenz in Midtown. Gerade jungen Menschen möchte auch Matthew Chavez ein Sprachrohr sein. Mit Post-its. Sie liegen auf einem Tisch in der Subway Station in der 14th Street, sechste Avenue. »Ich habe nur Zettel und Stifte hingelegt«, erzählt der Straßenkünstler. »Alles andere haben sie gemacht«, und meint damit die 5000 Zettel, die über den eigenen inneren Groll gegen Trump berichten. Es würde mich nicht wundern, wenn die Bewegung größere Wellen schlagen würde.
»Unglaublich«, denke ich mir auch, als ich das Sinfonieorchester zusammen mit Weltstar Anoushka Shankar an der Sita in der New Yorker Philharmonie spielen höre. Am Konzertende gab es sogar Standing Ovations. Dann muss es schon richtig gut gewesen sein, wurde mir gesagt, weil der New Yorker sonst geht. Er bezahlt, schaut zu und springt danach zügig wieder auf, um nach Hause zu fahren. Ohne langes Klatschen. An diesem Abend standen wir eine Weile. 2700 Menschen klatschten.
Liebe Heimat, es ist toll in New York. Einfach eine aufregende Zeit, die ich nicht so schnell vergessen werde. Ich freu mich auf dich!
Bis in ein paar Wochen.
Maria